Ankunft in Bogotá. Kühle Bergluft. Bunte Straßen. Meine Unterkunft stellt sich als Glückstreffer heraus: Ich wohne bei Juan David und Maria Carmen, Mutter und Sohn, die über AirBnB Apartments in der Altstadt vermieten – inklusive Familienanschluss und interkulturellem, vor allem kulinarischem Austausch.
Eine der ersten Fragen, die ich meinen Gastgebern stelle, lautet: „Wie ist das nun mit der Sicherheit hier in der Stadt?“ – denn von außen hört man ja nicht wenig von Raubüberfällen unter Bedrohung mit Messern, vermeintlichen Taxifahrern, die sich dann als Kriminelle herausstellen. Die Antwort meiner Gastmutter Maria Carmen, einer zierlichen Person, Anfang 60, so katholisch, dass sie mich zum Abschied stets segnet: „Pues, donde sea, siempre hay puntos blancos y puntos negros.“ – Wo auch immer auf der Welt, es gebe stets weiße und schwarze Punkte. Will sagen: Gute und schlechte Menschen, Orte, an denen man sich recht unbehelligt bewegen kann – und eben: andere.
Nach einigen Tagen und Gesprächen mit Menschen von hier habe ich das Gefühl, in etwa einschätzen zu können, wann ich mich wo aufhalten, wie ich mich am besten durch die Stadt bewegen kann – und wo ich mich lieber fernhalte.
Das Bild der weißen und schwarzen Punkte stellt sich unterdessen auch im Rahmen meiner Recherche als passend heraus. Ich bin hier auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, inwiefern sich die Situation der kolumbianischen Bevölkerung seit dem Friedensabkommen zwischen der Santos-Regierung und der FARC verändert hat. Meine ursprüngliche Idee: Mit der Zivilbevölkerung sprechen. In der Stadt und auf dem Land. Durch Juan David bekomme ich gleich am ersten Tag einen Kontakt zum Militär, für eine andere Binnensicht.
Kein Krieg heißt kein Einsatz an der Front
Sein Cousin hat dort einen hohen Posten und so ergeben sich meine ersten Interviews auf kurzem Wege. Ich spreche mit Soldaten, die im Kampf gegen die Guerilla vor Jahren teils schwer verwundet wurden, die zusahen, wie ihre Kameraden die Konfrontation mit den „Terroristen“, wie sie nennen, nicht überlebten. Für sie ist die Bilanz nach dem Abkommen positiv: Kein Krieg mehr heißt auch keine Einsätze mehr an der Front. Weniger Tote und Verletzte in den eigenen Reihen.
Mahnwache für den Frieden
Am nächsten Tag gibt es eine riesige Demonstration auf der Plaza Bolívar, dem zentralen Platz, den Regierungsgebäude säumen und den normalerweise Tauben und fahrende Händler bevölkern. Heute versammeln sich dort tausende Kolumbianer. Trauer, Wut und Verzweiflung liegen in der Luft. Die Menschen beklagen die Morde an Menschenrechtlern und Bürgerrechtsaktivisten; seit dem Friedensabkommen sind Hunderte Männer und Frauen aus diesen Bereichen getötet worden. Zuletzt sollen es innerhalb einer Woche 13 gewesen sein, die umgebracht wurden, weil sie sich für die Rechte der Landbevölkerung einsetzten. Die Menge ist aufgebracht, skandiert Parolen wie „Warum bringt ihr uns um, wenn wir doch die Hoffnung Lateinamerikas sind?“ – oder: „Nicht ein Toter mehr“.
Viele der Anwesenden machen die neue Regierung unter dem ultrarechten Präsidenten Ivan Duque mit verantwortlich, weil er und sein politischer Ziehvater, Ex-Präsident Álvaro Uribe, die Paramilitärs unterstützten. Die wiederum vermuten sie hinter den Morden: eine der militanten Gruppen im Land, die den Drogenanbau und -Handel steuern – und die das Machtvakuum ausnutzen, das in den Regionen entstanden ist, die einst die FARC-Guerrilla kontrollierte.
So sieht das auch eine junge Frau, die ich – nach vorsichtigem Herantasten – interviewe. Sie schwenkt eine weiße Fahne mit einer roten, stilisierten Rose und vier schwarzen Großbuchstaben: FARC. Sie erzählt mir, dass sie tatsächlich eine der Ex-Guerrilleras ist, die sich jetzt politisch in der gleichnamigen Partei engagiert. 14 Jahre habe sie in den Bergen gelebt und gekämpft. Jetzt sei sie Teil der Regionaldirektion der Partei in der Hauptstadt. Auch sie fordert von der kolumbianischen Regierung, dass sie etwas gegen die Morde an den Aktivisten unternimmt.
Die Angst bestimmt die Arbeit
Ein mittelalter Mann, den ich ebenfalls in der Menge treffe, ist regelrecht dankbar, dass ich ihn als deutsche Journalistin anspreche, um seine Meinung zur aktuellen Situation zu hören. Wie sich herausstellt, ist er Mitglied einer kommunalen Bürgerrechtsgruppe, von der schon 16 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen getötet wurden. Er habe Angst, offen zu sprechen, vor allem, was die neue Regierung angeht. Er und seine Kollegen könnten ihre Arbeit jedenfalls nicht mehr ohne Furcht ausüben.
Die Hintergründe sind komplex, die Meinungen kontrovers. Fest steht: Von den schwarzen Punkten gibt es auch mehr als ein Jahr nach dem Friedensabkommen in Kolumbien noch mehr als genug.