Woran erkennt man gesunde Meere?

Die Patientin ist zwischen zehn und zwölf Jahren alt. Ihr Geschlecht ist in diesem Stadium noch nicht ausgereift. Vier Helfer:innen braucht es, um sie auf einer Trage von dem Kofferraum des Autos in das Wasserbecken zu tragen. Sie hat Verletzungen an den vorderen Flossen. Woher diese kommen, ist schwer zu sagen, wahrscheinlich hat sie sich am Fischernetz verletzt, spekuliert der Helfer. Nachdem die Schildkröte sich in seinem Netz verfing, rief der Fischer Local Ocean Conservation (kurz LOC) an, ein alltägliches Unterfangen für die Hilfsorganisation.

LOC hat sich dem Meeresschutz verschrieben. Seit 26 Jahren betreiben sie Projekte, die sich rund um Aufklärung der Bevölkerung, dem Schutz von Mangrovenwäldern, Korallenriffen, oder eben Schildkröten drehen. Denn die Reptilien gelten als Indikatoren für gesunde Meere. Ihr Lebensraum ist jedoch zunehmend bedroht. Sie sind besonders vulnerabel für menschliche Einflüsse wie Verschmutzung der Meere durch Chemikalien und Plastik, Klimaerwärmung und menschliche Aktivitäten an Stränden.

Zu diesen Aktivitäten zählt die Fischerei, welche an Kenias Küste neben der Landwirtschaft die Haupteinnahmequelle der Bevölkerung ist. In Fischernetzen verfangen sich regelmäßig Schildkröten. Medial werde der Beifang in der Fischerei heftig kritisiert. Diese Einstellung müsse man ändern, sagt Abi Kidd Projektleiterin von LOC, da Beifang beim Fischen oftmals unvermeidlich sei. Solange das Narrativ bestehe, dass Fischer sich etwas zu Schulden kommen lassen würden, werden sie dazu verleitet, den Beifang zu verschleiern und die Tiere zu töten, oder sie verletzt im Wasser zurückzulassen.

LOC verfolge einen anderen Ansatz. Sie ist Ansprechpartner für die Fischer der Region. Haben sich Schildkröten verfangen, rufen die Fischer sie an. Die trainierten Helfer:innen können so die Tiere herauslösen und bei Bedarf in die integrierte Klinik bringen. Durch nummerierte Tags vollziehen LOC und kooperierende Organisationen, wo sich die Schildkröten hinbewegen, oder ob sie bereits in Behandlung waren.

So wussten sie auch, dass die heutige Patientin bereits einmal bei ihnen landete. Damals behandelten sie eine Verletzung, die wahrscheinlich von einem Haiangriff stammte. Der Panzer blieb ganz, hinterließ lediglich eine Wölbung. Heute bekommt die Schildkröte Schmerzmittel. In den nächsten Tagen vernäht der Tierarzt die Wunden und die Helfer:innen lassen die Schildkröte wieder frei.