Kein Grund, unglücklich zu sein

In den Blechhütten-Siedlungen am Rande Windhoeks leben die Ärmsten der Armen. Fünf Wellblechwände, gestützt durch ein Holzgerüst, ein kleiner Eingang, keine Fenster – und weder Strom noch fließendes Wasser. Fast alle hier kamen vom Land, um ihr Glück in der Hauptstadt zu finden – die meisten bleiben für immer.

 

Die Wellblechsiedlung von Windhoek

Ich bin unterwegs mit Stephanie, einer Studentin aus den Niederlanden, die in Namibia zum Einfluss des Tourismus auf Townships recherchiert, und mit Reinhilde, einer Namibierin, die hier lebt. Sie nimmt uns mit, um uns zu zeigen, wie die Menschen hier leben. Eigentlich arbeitet sie für eine Hilfsorganisation, die vor allem HIV-positive Frauen und deren Kinder unterstützt. AIDS ist eines der größten Probleme in Namibia. Knapp 20 Prozent der Bevölkerung sind HIV-positiv, in den Townships ist der Anteil noch deutlich höher. Auch Reinhilde selbst ist HIV-positiv – genauso wie ihre drei Kinder.

 

Sie kennt fast jeden in dieser Gegend, sie ist hier groß geworden und gehört zu den wenigen, die einen Job haben. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei über 50 Prozent. Inoffizielle Schätzungen reichen bis über 80 Prozent. „Alleine sollte man hier als Weißer nicht herumlaufen“, sagt Reinhilde. Das liegt allerdings nicht daran, dass es hier besonders viele schlechte Menschen gäbe. „Viele hier haben nicht mal genug für eine tägliche Mahlzeit. Wenn der Hunger zu groß wird, sinken die Skrupel, kriminell zu werden.“

 

Unser erstes Ziel ist der Mahangu-Laden von Erasmus und seiner Familie. Mahangu ist eine Hirseart, die auf extrem trockenen und nährstoffarmen Böden wachsen kann. Man kann Brei, Brot und Bier daraus machen. Die Zubereitung ist allerdings zeit- und kraftraubend. Die Maiskolben ähnelnden Mahangu-Kolben müssen zu einem feinen Pulver zermahlen werden, bevor sie verarbeitet werden können. In Erasmus‘ Laden ist das Handarbeit. Gut vier Stunden dauert es, um etwa ein Kilogramm Mahangu-Mehl zu gewinnen.

 

Wie anstrengend Mahangu-Stampfen ist, teste ich selbst. Knapp zehn Kilogramm wiegen die Stößel.

Vor allem für die Kinder hier ist Mahangu das wichtigste Grundnahrungsmittel. Ein 200 Milliliter-Becher Mehl kostet 5 Namibia-Dollar (50 Cent) und reicht, um eine Woche lang Brei für ein Kleinkind zuzubereiten. Mein Blick fällt auf den Kühlschrank in Erasmus‘ Laden. „Ich dachte hier gibt es keinen Strom?“, frage ich ihn. „Nicht offiziell. Aber ohne Strom können wir den Laden nicht betreiben. Wir brauchen einen Kühlschrank.“ Wo der Strom genau herkommt, sagt Erasmus nicht. Das Problem: Der illegale Strom ist eben nicht kostenlos, sondern teurer als Strom über einen legalen Anschluss. Die Zwischenhändler lassen sich ihre Dienste gut bezahlen. „Es gibt Monate, da müssen wir 500 Namibia-Dollar (50 Euro) für den Strom zahlen“, sagt Erasmus. Ich frage zweimal nach, aber es bleibt bei dem Betrag. Als ich ihm sage, dass ich in Deutschland weniger bezahle, schüttelt er nur mit dem Kopf.

 

Wir fahren weiter zur Hütte von Angala. Die 22-Jährige lebt seit 4 Jahren hier mit ihrem Mann und ihrem Kind. Ihre Hütte ist liebevoll eingerichtet, mit bunten Tüchern an den Blechwänden, einer Art Theke, die den Kochbereich vom Schlafbereich abtrennt und Fotos von ihrem Mann und dem 3-jährigen Sohn.

 

Angalas Hütte in Windhoeks Township - jedes Haus hier hat einie Hausnummer.

„Kommen hier manchmal Touristen vorbei?“, will Stephanie wissen. „So gut wie nie.“ „Und fändest Du es gut, wenn das häufiger passieren würde?“ „Ja, ich glaube, es wäre gut, wenn mehr Touristen kämen, uns besuchen und mit uns sprechen würden.“ Angala glaubt, dass das positiven Einfluss auf die Infrastruktur haben könnte. „Durch ein erhöhtes Interesse der Touristen an den Townships würde automatisch auch das Interesse der Regierung steigen.“ Bislang hören die geteerten Straßen und die Stromleitungen dort auf, wo die Wellblech-Siedlungen anfangen. Die letzte staatliche Unterstützung ist schon eine Weile her: Eine neue Wasserstelle – jetzt muss Angala nur noch zehn Minuten laufen, um an Wasser zu kommen.

 

Manchmal reicht das Geld nicht für eine warme Mahlzeit am Tag. Ein Grund traurig zu sein ist das für Angala nicht.

„Bereust Du es, dass Du vom Land hierher gezogen bist?“, frage ich. „Überhaupt nicht. Dort hatte ich gar nichts, wir haben von dem gelebt, was wir selbst angebaut haben, das hat aber selten für alle gereicht. Hier habe ich meine eigenen vier Wände und kann arbeiten gehen.“ Arbeiten gehen heißt in ihrem Fall, ins Taxi zu steigen und etwa eine halbe Stunde bis in die Innenstadt zu fahren. Dort hilft sie dann beispielsweise in Restaurants aus. Ob sie Arbeit bekommt, erfährt sie immer erst, wenn sie da ist. „Wenn es nicht klappt, habe ich zwar das Geld fürs Taxi umsonst ausgegeben. Aber ich habe es wenigsten versucht.“ Ich bin erstaunt, wie positiv Angala eingestellt ist. Und das nicht etwa, weil sie weltfremd wäre. Angala ist sich bewusst, dass es schwer werden wird, jemals aus der Siedlung rauszukommen. Ihre Fröhlichkeit endet auch nicht, als sie uns erzählt, dass sie nicht genug Geld habe, um heute Essen zu kaufen. „Wenn ich euch besser kennen würde, würde ich euch um 2 Dollar (20 Cent) anhauen“, sagt sie mit einem Lächeln. Ein Grund unglücklich zu sein, ist das für Angala nicht…