Alles beginnt mit einer Explosion

Der Alkoholtest zeigt Null Komma Null Promille an. „Okay, Sie dürfen durch.“ Die Schranke öffnet sich. Wer die Rössing-Uranmine in Namibia besichtigen will, muss nüchtern sein, egal, ob er selbst fährt oder, wie ich, nur auf dem Beifahrersitz mitfährt. Der Test ist der Abschluss einer knapp halbstündigen Sicherheitseinweisung, die mit einem Film beginnt, der bei mir Erinnerungen an „Der 7. Sinn“ weckt. Inhalt sind Verkehrsregeln auf dem Minengelände und wie ich mich verhalten muss, wenn beispielsweise Ammonikgas aus einem der Tanks strömt. Dass meine Gedanken während des Films hin und wieder abschweifen, soll mich gleich einholen. Am Ende des Films bekomme ich einen Fragebogen in die Hand gedrückt. „Damit wollen wir kontrollieren, ob Sie alles verstanden haben.“ Mein Ergebnis im Multiple-Choice-Test teilt mir niemand mit, aber offenbar reicht es, um die Mine besichtigen zu dürfen.

 

Die Rössing-Mine ist die älteste Uranmine in Namibia und war lange Zeit die einzige. Seit 1976 wird hier Uranerz im Tagebau gefördert. Betreiber ist die Rössing Uranium Limited, eine Tochterfirma des multinationalen Bergbaukonzerns Rio Tinto. Die Mine liegt in der Namib-Wüste, etwa 65 Kilometer von der Küstenstadt Swakopmund entfernt.

 

Es ist heiß, trocken und staubig. Wir verlassen die geteerte Hauptstraße und fahren auf einer Schotterstraße Richtung Abbaubereich weiter. „Die Wege werden immer wieder befeuchtet, um den Staub zu binden“, erklärt Botha. Er ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und führt mich übers Minengelände. Staub ist eines der größten Probleme des Uranbergbaus, vor allem in der Wüste. Wer zu viel davon einatmet riskiert nicht nur eine Staublunge. Über den Staub können auch radioaktive Partikel in die Lungen der Arbeiter gelangen. Das mit der Radioaktivität habe man aber gut im Griff, betont Botha. Regelmäßige Messungen zeigten, dass die Belastung für Arbeiter und Umwelt deutlich unterhalb internationaler Grenzwerte liegen. Das liege zum einen daran, dass hier nicht in unterirdischen Stollen abgebaut würde, sondern im gut belüfteten Tagebau. „Außerdem ist die Urankonzentration in unserem Gestein sehr niedrig.“

 

Die Urankonzentration in Namibias Lagerstätten liegt zwischen 0,01 und 0,06 Prozent, also zwischen 100 und 600 Gramm pro Tonne Erz. Die weltweit höchste Konzentration haben kanadische Lagerstätten, mit bis zu 20 Prozent. Tatsächlich könnte der wirtschaftliche Nachteil ein Vorteil für die Gesundheit der Arbeiter und für die Umwelt sein. Dass die Gefahr akuter Verstrahlung gering ist, bezweifeln auch Umweltorganisationen nicht. Strittig ist allerdings noch die Frage, welchen Einfluss die niedrig dosierte Strahlung langfristig auf Minenarbeiter und Umwelt hat. Dazu kann Botha nichts sagen, er verweist auf die Strahlenexpertin des Unternehmens.

Open Pit

Kurz darauf erreichen wir die Abbaugrube. Grube klingt allerdings etwas harmlos. Der ovale Abbaubereich ist gut drei Kilometer lang und einen Kilometer breit. Nach unten verjüngt er sich stufenweise bis in 400 Meter Tiefe. Die Mine ist der größte Urantagebau der Welt. 2010 hat Rössing 3628 Tonnen Uranoxid produziert – rund fünf Prozent der Weltproduktion.

 

In der Grube herrscht reges Treiben, auf den einzelnen Terrassen sind Kipper unterwegs und hier und da steigen Staubwolken auf. Die Entfernung ist so groß, dass die Kipper und Kräne wie Spielzeug-Autos aussehen. Tatsächlich sind es die größten Kipper, die auf der Welt unterwegs sind. Die Reifen der Trucks haben einen Durchmesser von rund drei Metern, die Fahrer erreichen ihren Arbeitsplatz nur über eine Leiter. 180 Tonnen pro Ladung transportieren die Kolosse.

 

Hier beginnt sie also, die nukleare Kette. Genau genommen beginnt sie mit einer Explosion. Die Minenarbeiter sprengen Gesteinsbrocken aus dem Fels, Kräne verladen die tonnenschweren Brocken auf die Kipper. Messschranken, unter denen die Kipper durchfahren, bestimmen die Urankonzentration. Ist die zu gering, geht es weiter auf die Gesteins-„Müllhalde“ – für jede Tonne Erz fallen rund fünf Tonnen unbrauchbares Gestein an. Wer genug Uran auf dem Kipper hat, darf weiterfahren zu den Aufbereitungsanlagen. Hier machen Erzbrecher und Mahlwerke aus den Gesteinsbrocken groben Erzsand. Der wird schließlich mit Wasser zu einem Brei vermischt.

 

In haushohen Tanks wird das Uran mit Schwefelsäure aus dem Brei heraus gewaschen. Anschließend kommt das Ganze in den Ofen und wird bei etwa 600 Grad Celsius gebacken. Heraus kommt ein gelbes Puder, genannt Yellow Cake, gelber Kuchen. Um eine Tonne dieses Kuchens herzustellen, müssen die Minenarbeiter knapp 15 Tausend Tonnen Gestein bewegen.

 

Zum Transport wird der Kuchen noch mal erhitzt, bis ein grau-schwarzes Pulver entsteht – hochkonzentriertes Uranoxid. Das wird in Fässer verpackt und zu Aufbereitungsanlagen nach Europa und in die USA transportiert.

 

Bis zu 450 Kilogramm Yellow Cake fassen Rössings Transporttonnen.

Die chemischen Prozesse finden hinter verschlossenen Türen statt, davon bekomme ich nichts zu sehen – „aus Sicherheitsgründen“, erklärt Botha.

 

Aber er zeigt mir, was mit den Abfällen passiert, die bei der Verarbeitung entstehen. Die so genannten Tailings, eine rotbrauner Schlamm, werden in Absetzbecken gepumpt. An der Luft verdunstet das Wasser. Übrig bleibt grobkörniger Sand, den Bagger zu meterhohen Dämmen aufschütten. Die Dämme enthalten Reste aller Chemikalien, die bei der Verarbeitung eingesetzt werden. Und sie strahlen: Zum einen erreicht die Uran-Ausbeutung nie 100 Prozent. Zum anderen sind in den Tailings die radioaktiven Zerfallsprodukte des Uran enthalten, wie Thorium, Radium und das daraus entstehende Radon-Gas, das aus den Dämmen austritt.

Umweltschützer sehen in den Tailings eine der größten Gefahren des Uranbergbaus. Sickert der Chemiecocktail in den Boden, kann das das Grundwasser verseuchen. Die starken Winde in der Wüste können die Dämme abtragen und so die Abfälle in der Umgebung verbreiten.

Auch da gebe es keine Probleme, erklärt Botha. Tatsächlich sickere Tailing-Wasser in den Boden. „Aber das fangen wir mit Pumpensystemen, die unter den Dämmen verlaufen, wieder auf.“ Das klappt angeblich vollständig. Botha erklärt, dass Wasser und Umgebung regelmäßig auf Chemikalien und Strahlung geprüft würde und bislang sei alles sauber.

 

Ein Problem sieht allerdings auch Botha: „Wenn in ein paar Jahren die vierte Mine aufmacht, reicht das Frischwasser vermutlich nicht mehr, um Minen und die Bevölkerung zu versorgen.“ Die Mine hat 2010 rund drei Millionen Kubikmeter Frischwasser verbraucht, in etwa so viel wie die nahegelegene Küstenstadt Swakopmund mit ihren 35 Tausend Einwohnern. Der französische Atomkonzern Areva hat 2010 eine Meerwasserentsalzungsanlage in der Nähe in Betrieb genommen. Die Anlage soll vor allem die Wasserversorgung der Areva Uranmine in Trekkopje sicherstellen. Überschüssiges Wasser werde man an den staatliches Wasserversorger Namwater verkaufen, so dass es ins öffentliche Netz kommt und auch die anderen Minen entsalztes Wasser nutzen können, hieß es bei Inbetriebnahme der Anlage. Das scheitert aber bis heute, gut zwei Jahre später, an Preisverhandlungen.

 

Zum Abschluss der Führung frage ich, ob es möglich ist, mit Arbeitern zu sprechen und ob ich sehen darf, wie Rössing die Strahlenbelastung des Personals und der Umgebung kontrolliert. Weder das eine noch das andere ist möglich –  „aus Sicherheitsgründen.