Just keep breathing

Manila war vor allem laut, grau, dreckig, groß. Tacloban: Ein anderes Bild.

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Die Stadt liegt am Golf von Leyte: Dunkelblaues Wasser bis rüber nach Kalifornien. Eine Scholle aus Vulkangestein, die aus dem mächtigen Meer ragt – mit dicht bewaldeten Bergen im Zentrum. Wellen schlagen an ihre Ränder. Tropische Hitze, Papayabäume und bunte Girlanden über den Straßen. Diese Woche steigt die Fiesta – DAS Stadtfest des Jahres. Sommerfeeling pur – oder?

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Viele Häuser sind grau, dreckig und provisorisch. Die Straßen sind immer wieder aufgebrochen und voller Schlaglöcher. Jeepneys, Tricycles, Busse, Motorradfahrer kämpfen um eine Lücke im Verkehrsdschungel. Es ist LAUT!

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Ja, die Stadt ist wieder aufgebaut worden. Aber natürlich nicht neu. Irgendwie hatte ich mir frisch getünchte Wände vorgestellt. Ganzschön naiv. Was noch übrig war wurde natürlich ausgebessert und das oft nur notdürftig. Denn Baumaterialien waren und sind nach Yolanda nicht nur knapp sondern auch dementsprechend teuer. In der ganzen Region. Darum werden sie zum Teil aus dem fernen Manila geholt. Und das kostet…
Versichert ist hier keiner. Was weg ist, ist weg. Was müssten das auch für Versicherungsprämien sein, um ein Haus gegen Taifunschäden abzusichern, im Land das weltweit das zweitgefährdetste ist was Naturkatastrophen angeht? Jedes Jahr gehen hier 20 Taifune durch. Dazu kommen Erdbeben und Tsunamis. Und Erdrutsche. Was vergessen? Ja, die Vulkane.

Die Regierung hat jedem, der alles verloren hat, eine Entschädigung zugesichert. Aber die ist in vielen Fällen bis heute nicht ausgezahlt worden. Das liegt unter anderem auch daran, dass es für die Bewohner schwer ist, alle erforderlichen Nachweise zu erbringen. Kritik an der Regierung höre ich von fast jedem, mit dem ich spreche. Die Frustration ist groß.

Aber es gibt ihn dennoch, den Charme von Tacloban. Er zeigt sich zum Beispiel an einer schön restaurierten alten Kirche, in der ständig Gottesdienst zu sein scheint – sie ist immer voll. An den netten Cafés, die auch in Köln echte Perlen wären. Und dem Gewusel auf den Straßen als es dunkel wird: Vergnügte Kinder, Stände mit gegrillten Fleischspießen, Zuckerwatte. Kurz: Tacloban ist kompakt, es lebt und ist dabei viel entspannter als Manila.

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Die Stadt ist übersät von NGOs und ich werde von jedem, mit dem ich spreche, für eine Helferin gehalten. Auf der Straße werde ich wahrscheinlich deshalb ständig gegrüßt. Oder einfach nur, weil die Filipinos so unglaublich nett sind?

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Abends nehmen mich ein paar Leute aus dem Hostel mit in eine Expat-Bar. Eine Art Hof mit Wellblechdach und hohen Bäumen. Ein bunter Bretterzaun, Sitzgelegenheiten aus Paletten – scheint ein weltweiter Trend zu sein. Natürlich gibt es hier auch eine „Popup-Küche“, die Burger brät. Die eigentliche Bar befindet sich in einem alten Bauwagen. Hippe, durchtrainierte Kellner, elektronische Musik – und fast ausschließlich ausländische Gäste Anfang 20. Etwa 50 von ihnen. Einer tanzt, Bier in der Hand, barfuß, Schnörres, Strohhut. Neben ihm eine in kurzer Latzhose mit Sonnenblumenprint und mit Dreadlocks. Und natürlich noch der Zyniker und ich.

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„Wenn du Journalist bist, dann bist du bestimmt auch Zyniker, oder? Oder bist du objektiv, haha“ – unser Smalltalk auf dem Weg vom Hostel zur Bar, während ich mich auf seinem Motorrad an ihn klammere. Warum er denn Zyniker sei?

Der Zyniker hat in seinen ersten Wochen hier für eine britische NGO namens All Hands gearbeitet. Die Organisation baut Häuser. Und all die jungen Ausländer, die ich hier sehe, sind Ehrenamtler bei All Hands. Voluntouristen – also Ehrenamtstouristen. All Hands verlangt keinen finanziellen Beitrag von ihnen dafür dass sie hier mithelfen dürfen. Klar, warum auch? Sie helfen ja schließlich und spenden ihre Arbeitskraft.

All Hands bietet Kost und Logis für die Arbeit der jungen Leute. Und sie arbeiten wirklich hart. Nur eben nicht sehr lange, sagt der Zyniker. Die meisten bleiben zwei oder drei Wochen. In dieser Zeit lernen sie gerade das Nötigste im Hausbau. Wenn sie endlich richtig mit anpacken könnten ziehen sie weiter. An den nächsten Katastrophenschauplatz in Südostasien. Nicht besonders effizient also. Aber immerhin. „Na und, ist das so schlimm?“ Warum sollen sie keinen Spaß haben beim Helfen? Hauptsache sie helfen. Oder?

Dann gibt es da natürlich noch die vielen bekannten internationalen Hilfsorganisationen. Die mit ihren glänzenden SUVs durch die Stadt fahren. Warum UK Aid einen importierten Mini mit Sonderlackierung fahren muß, statt einen SUV von Toyota, der hier deutlich günstiger ist, erschließt sich natürlich wirklich nicht. Warum die Mitarbeiter der NGOs in Zeiten größter Wohnungsnot ganze Häuser von lokalen Familien gemietet haben, um darin alleine zu wohnen auch nicht. Der Zyniker hat viel zu kritisieren. In den nächsten Tagen will er mich auf seinem Motorrad mit aus der Stadt rausnehmen. Dann fahren wir zu Siedlungen, in denen die Menschen ihre Häuser mit alten UN-Bannern abdecken, damit es durch ihr Wellblechdach nicht reinregnet.

Der Zyniker stellt mir Vanessa vor. „She’s a really beautiful person!“ Vanessa arbeitet auch für All Hands. Eine kleine Frau mit bunten Armbändern und langen schwarzen Haaren. Sie muss Mitte 30 sein und kommt aus Tacloban. Eine zeitlang hat sie in Manila gelebt, nach der Trennung von ihrem Mann ist sie dann aber zurück gezogen – zu Familie und Freunden, mit ihren beiden kleinen Jungs. Als der Sturm kommt, ist Vanessa gerade in Manila.

Vanessa spricht sachlich und ruhig, die Augen nach unten geschlagen, nicht schüchtern, aber sehr zurückgenommen. Nach dem Sturm habe sie ihre Mutter nach Manila geholt, die wollte aber schon bald wieder zurück nach Tacloban. Manila war ihr zu laut, zu groß, einfach nicht Zuhause. Die alte Frau hatte Heimweh und Vanessa ging mit, zurück in die zerstörte Stadt, beim Aufbau helfen.

Mitten in der Erzählung schiebt sie dann ziemlich unauffällig noch einen Satz hinterher, in den Raum zwischen uns beiden, wo er so stehen bleibt. „Meine Kinder sind ertrunken.“

Sie guckt hoch und mich an. Gesprochen hat sie sehr sachlich. Und sie verzieht auch jetzt keine Miene. Guckt eher stumpf. Während ich hilflos um meine Fassung ringe.

Das ist mein erstes Gespräch mit einem Opfer des Taifuns. Was soll ich nur sagen? Ich habe Angst, ihren Gefühlen nicht richtig zu begegnen. ICH KANN SIE NICHT TRÖSTEN! Ich würde so gerne.

Sie sei eine Weile auf die Nachbarinsel Cebu gegangen, als es gar nicht mehr auszuhalten war. Depressionen. Aufstehen, essen, traurig sein, schlafen. Ich stelle mir diese erwachsene Frau vor, wie sie aufwacht – und sich ihr Albtraum Tag für Tag wiederholt.
Hat sie mit irgendjemandem gesprochen, einem Psychologen vielleicht?
Mit Freunden. Aber jeder hat ja selbst etwas grausames erlebt. Sich ausheulen bei Freunden, die von ihrer eigenen Trauer völlig übermannt sind? Wie soll das denn gehen? Eine Schulfreundin hat beide Eltern verloren. Die andere die gesamte Familie. Zieh eine Nummer, stell dich hinten an.

Eine Freundin des Zynikers, Silvia, die Programmanagerin von All Hands, hat ganz am Anfang des Abends einen interessanten Satz gesagt. Als sie kurz nach Yolanda in Tacloban ankam, hörte sie zuerst das: Gut dass Du hier bist um uns zu helfen. Am meisten hilfst du, wenn du dich jetzt hier hinsetzt und zuhörst. Hör dir bitte unsere Geschichten an. Bitte teile unsere Trauer mit uns.

Auf Vanessas Arm entdecke ich ein Tattoo, einen feinen, schlichten Schriftzug.
„Just keep breathing“.
Weiteratmen. Und sie tut es. Filipinos always bounce back. Das ist so ein Standardsatz hier. Von außen wirkt es so. Hier an diesem Tisch bin ich mir nicht so sicher.