Journalismus nervt….

…zumindest dann, wenn man ein Land erkunden will. Journalismus funktioniert über Geschichten. Geschichten funktionieren über Fallhöhen. Und Fallhöhen generieren sich aus Ungleichheiten und Problemen aller Art.

Ein Land journalistisch zu erkunden, heißt also Unterschiede und sozialen Sprengstoff zu identifizieren. Sich unvoreingenommen auf Neues einzulassen, läuft da unterbewusst ab.

Beispiel: Ich bin auf dem Weg zu einem Recyclinghof nach Tema, einer Stadt östlich von Accra, um den Gründer zu interviewen. Ich schaue alle fünf Minuten auf Google Maps, ob mein Tro-Tro auch in die richtige Richtung fährt. Ich schaue mir nochmal die Website des Unternehmens an. Google den Gründer, ob ich noch ein interessantes Detail finde, auf das ich ihn im Interview unbedingt ansprechen muss.

Da es meine erste Tro-Tro-Fahrt ist, nehme ich unterbewusst, geradezu verschwommen wahr, dass auf jedem Tro-Tro religiöse Sprüche stehen. Dass die Tro-Tro-Mannschaft aus einem Fahrer und einer Art Marktschreier besteht, der aus dem fahrenden Auto heraus den Passanten zuruft, wohin der Wagen fährt. Dass ich nie eine Frau am Steuer eines Kleinbusses gesehen habe (wieder eine Fallhöhe), und das Auto in einem desaströsen Zustand ist, sodass ich verwundert bin, dass es überhaupt noch fährt.

Aufgeschnappt und notiert

Ist man zu Besuch bei einer ghanaischen Familie, wird sofort der Fernseher angestellt, und das Gespräch dreht sich um das Prorgamm. // Ghanaer essen schon zum Frühstück deftige und schwere Gerichte wie Banku, Fufu oder Kenkey. Weil viele Ghanaer in glühender Hitze lange arbeiten und ebenso lange ohne Essen aushalten müssen. // Ghanaer mögen keine Nigerianer.

Laila und Emmanuel

Ghana journalistisch zu erkunden hat selbstverständlich auch viele Vorteile. Ich komme an Orte, rede mit Menschen, und erhalte Privilegien, die ich weder als Tourist noch als Einheimischer genießen dürfte.

Bei meiner Recherche, wie Digitalisierung einem Entwicklungsland wie Ghana hilft und wie die nächste Generation davon profitiert, fokussiere ich mich auf drei Aspekte: Menschenrechte, Bildung, und Unternehmertum. Diese Woche habe ich mich um das Unternehmertum gekümmert. Ich war im iSpace – einem BusinessHub in Accra. Dort habe ich Laila und Emmanuel getroffen. Laila will mit ihrer Onlineplattform das afrikanische Pendant zu Booking.com werden. Dabei spezialisiert sie sich auf afrikanische Touristen. Sie bietet Touren durch Regionen und ganze Länder an, und arbeitet dabei gezielt mit der lokalen Bevölkerung zusammen, vor allem Frauen will sie beschäftigen.

Emmanuel hat eine App entwickelt, die Plastikmüll reduzieren und Recycling stärken soll. Wenn Leute Plastik sammeln, können sie über die App einen Transporter rufen, der das Plastik abholt und zu einem Recyclinghof bringt. Die App schreibt den Nutzern dann Punkte gut. Ab einer bestimmten Punktzahl können die User die Punkte gegen Sachgegenstände eintauschen. Zum Beispiel Teller, Besteck, Stühle, Tische, etc. Alles aus recycletem Plastik. Wenn ein Plastikteller kaputt geht, kann der via App wieder in Punkte verwandelt werden. Ein großartiger Anreiz für Privatpersonen Plastikmüll nicht einfach in die Gegend zu schmeißen, sondern zu sammeln.

Paul

Paul habe ich auf dem Rückweg von Tema nach Accra im Tro-Tro kennengelernt. Wir haben Nummern ausgetauscht. Und seitdem ruft er mich jeden Tag an oder schreibt mir. Für mein deutsches Verständnis absolute Belästigung. Meist fragt er nur „How are you today?“ oder „What is going on?“. Ein simples „All good.“ reicht häufig schon, um den Chat zu beenden. Ein Telefonat dauert selten länger als zwei Minuten. Für mein deutsches Verständnis belanglos und oberflächlich.

Aber es ist wohl ganz normal, dass sich hier Bekannte und Freunde gegenseitig täglich anrufen, nur um kurz nachzufragen, ob gerade alles ok ist. Soweit ich es beurteilen kann, erwartet niemand eine ausführliche Unterhaltung.

Paul hat aber gefragt, ob wir uns mal treffen. Warum nicht – eine gute Gelegenheit, um den „normalen“ Ghanaer kennenzulernen. Also abgesehen von Politikern, Wissenschaftlern, und studierten Jungunternehmern, dachte ich mir.

Vergangenen Dienstagabend war ich also bei Paul. Er lebt in einem kleinen Bungalow in einem Vorort der Hauptstadt zusammen mit seiner Frau und seinem zehn Monate alten Sohn. Zwei Zimmer, Küche, Bad. Richtige Fenster hat der Bungalow nicht, nur Holzstäbe mit Vorhängen davor. Untere Mittelschicht.

Kurz nachdem ich das Wohnzimmer betreten hatte, schaltete Paul den Fernseher ein. Es lief eine Doku über Peru. „It lookes just like africa there. They have farming. They have bush and trees.“, lacht Paul begeistert. Ja, was denkt er denn, dass es nur in Afrika Bäume und Bauern gibt? Paul zeigt mir auf seinem Smartphone ein paar Bilder von seiner Arbeit (Bauarbeiter) – und aus seiner Kirche, wo er einen Tanzkurs für Kinder gegeben hat. „Show me some Pictures of Germany.“

Auf meinem Handy befinden sich aktuell 3295 Fotos. Trotz dieser enorm hohen Anzahl an Bilddateien, hat es ungefähr zehn Minuten gedauert, bis ich Fotos aus Deutschland gefunden habe. Zuerst musste ich durch die vielen Bilder scrollen, die ich in Ghana gemacht habe. Dann die Bilder von der Silvesterfeier. Dann der Ägyptenurlaub mit meiner Ex-Freundin, der Spanienurlaub mit Kumpels, der letzte Junggesellenabschied auf dem ich war, Poserbilder ausm Radiostudio, noch ein Spanienurlaub mit einem anderen Kumpel (ich war zweimal in einem Jahr in Spanien?!), diverse Fotos von kostspieligem Essen, Konzerte und Saufabende. Noch nie habe ich auf so unverhoffte Weise meine westlichen Privilegien in die Fresse gekloppt bekommen, wie in diesem Moment. Ich habe sogar das Handy etwas schief gehalten, damit Paul die Bilder nicht zu Gesicht bekommt. Irgendwann habe ich ein paar Bilder von einem Wald im Bergischen und Hochhausaufnahmen von Bremen gefunden. Paul war fasziniert: „There are the Mangos in the forest?“ („No, we import them from your country“), „All the houses belong to individuals?“