Dächer haben für mich eine große Bedeutung. In Südeuropa und der SWANA (Süd-/Westasien und Nordafrika)-Region werden sie auch anders als in Nord-und Mitteleuropa genutzt: Um Wäsche zu trocknen, zu schlafen oder gemeinsam zu essen. Oder aber auch, um ein Konzert zu veranstalten, so wie am zweiten Abend nach meiner Ankunft in Hewlêr (Erbil), in der Autonomen Region Kurdistan im Irak. Dort lerne ich die Organisatorin dieses Konzerts, Znara Ahmad kennen. Sie erzählt mir, dass sie gerade eine Galerie eröffnet hat und lädt mich ein sie dort zu besuchen.
Gesagt getan, wenige Tage später bin ich in der Sêv Galerie im Bezirk Ainkawa. Bevor wir das Gespräch beginnen, bittet sie mich allerdings darum, sie nicht über „das Leben als Frau“ oder das „Leben als Flüchtling“ zu befragen. Ich fange an zu lachen und versichere ihr, dass ich das definitiv nicht tun werde, nicht zuletzt, weil ich wenige Abende vorher auf eine Deutsche Reisegruppe traf, die mich fast ausschließlich dazu befragte, wie es denn als Frau hier sei und ob ich mich hier wohlfühle. Mit Geschlechter-Binaritäten kann ich persönlich ohnehin nicht viel anfangen, aber: Ich fühle mich sehr wohl hier und vor allem sicher.
Eine sehr wichtige Frau hängt bei Znara Ahmad in ihrer Sêv Galerie als Gemälde an der Wand: Adela Khanum, die erste Bürgermeisterin von Halabja in den Jahren 1909-1924. Derzeit hat wieder eine Frau in Halabja das Bürgermeisteramt inne: Nuxsha Nasih. Aber ich hatte ja der Künstlerin Znara Ahmad versprochen nicht über „die Frauenfrage“ zu reden.
Von außen betrachtet ist Znara Ahmad eine Künstlerin wie jede andere auch – auch wenn nicht alle Künstler*innen eine Galerie ihr eigen nennen können – aber auch sie möchte reisen, mal eine zeitlang in Deutschland oder Großbritannien arbeiten, sich dort inspirieren lassen und dann wieder nach Hewlêr zurückkommen. Abgesehen von Austellungen bietet Znara Ahmad Töpfer-Workshops an. Sie hat in Damaskus Kunst studiert und sich dort auf Keramik spezialisiert. Das ganze Wissen geben sie und ihre Mitarbeiter*innen mit Workshops an Kinder und Erwachsene weiter.
Was der oberflächliche Eindruck aber nicht verrät ist der Weg dorthin. Als Besucher*in fällt es einem nicht auf, dass es die Sêv Galerie in der Form erst seit drei Monaten gibt. Znara Ahmad lächelt durchgehend, die Energie, die sie beim sprechen verbreitet, füllt den ganzen Raum aus, wenn sie über all die Hindernisse spricht, die sie überwinden musste, lächelt sie immernoch. Fast könnte man dadurch komplett außer acht lassen, das es eben doch eine ziemlich starke Leistung ist aus Damaskus zu fliehen, in ein Land zu kommen, in dem man niemanden kennt und von Null anfangen muss: „Mein erster Gedanke war: Ich habe hier gar kein Netzwerk, niemand weiß hier wer Znara Ahmad ist, ich kann nicht einfach irgendwo hingehen und sagen: „As-salamu alaykum, ich bin Znara Ahmad, ich habe Kunst studiert. Ich konnte auch nicht zum Goethe Institut gehen und sagen: lasst uns eine Kooperation starten“. Acht Jahre später tut sie genau das: Das Konzert auf dem wir uns kennengelernt haben, hat sie organisiert, es findet im Rahmen des Helan Art Exhibition Projektes statt, eine montlich stattfindende Veranstaltung des Goethe Instituts mit lokalen Künstler*innen aus der Autonomen Region Kurdistan.
Vor acht Jahren wusste sie auch schon ziemlich genau, dass sie eine Galerie aufmachen möchte, am Anfang wurde ihr eine Halle zur Verfügung gestellt, das war ihre „mobile Galerie“, wie sie selbst erklärt. Und mit Hilfe eines privaten Instituts bekam sie dann finanzielle Unterstüzung: 2017 habe sie angefangen sich damit zu beschäftigen, wie sie daraus eine Geschäftsidee machen kann, immer mit dem Gedanken: „Wie kann ich ein Gleichgewicht herstellen zwischen der Kunst und einem Unternehmen, dass ich gründen möchte.“ Als sie sagt, dass die Sêv Galerie ein Start-up ist, bin ich kurz überrascht, als ehemalige Mitarbeiter*in eines Start-ups, verbinde ich diese Art von Unternehmen mit technischen Innovationen, Profitmaximierungen, KPIs, Venture Capital, aber nicht mit Kunst. Die Erklärung von Znara Ahmad ergibt jedoch Sinn: „Wenn ich ein Bild male und das ausstelle, dann habe ich ein Produkt. Wenn wir hier Workshops durchführen, dann ist das eine Dienstleistung, die ich verkaufe.“ Und klar: Wachstum muss auch nicht immer so exponentiell laufen, wie es bei Tech-Start-Ups der Fall ist bzw. sein sollte.
Auch wenn Wachstum natürlich in gewissem Sinne auch für die Künstlerin wichtig ist und sie antreibt: Am liebsten wäre es ihr, wenn sie 20 Mitarbeiter*innen beschäftigen könnte und ihre Community noch größer wird. Häufig sind es Schüler*innen von Privatschulen, die ihre Workshops besuchen oder Erwachsene, meist aus anderen Ländern. Sie blickt optimistisch in die Zukunft und glaubt fest daran, dass es ihr gelingen wird, noch mehr Menschen fürs Töpfern und für ihre Kunst zu begeistern, einen immer größeren „Impact“ zu haben, wie sie sagt. Bei der Begeisterung, mit der sie von ihrer Arbeit erzählt, besteht daran kein Zweifel.