The traffic, oh, the traffic. Der Stadtverkehr in Nairobi ist berüchtigt und alle raten mir davon ab, selbst Auto zu fahren. Hatte ich eh nicht vor, aber wer sich gerne eine Stadt erläuft, ist hier falsch. Fußgängerzonen sehe ich keine, dafür einen neuen Expresshighway, der quer durch die Stadt führt. Uber und Bolt zählen zu den wichtigsten Handyapps und ich installiere sie noch vor Ankunft am Flughafen. Im Flugzeug hatte mich mein Sitznachbar gefragt, ob ich abgeholt werde. Nein, ich nehme ein Taxi.
Fahrer Frederic schiebt die Tür des verblichenen hellgelben Toyotas zur Seite und fährt los. Seine beige Hose passt nicht nur zum Armaturenbrett des Autos, sondern auch zu seinem Hemd, das mit den Umrissen Afrikas und den Big Five bedruckt ist. Wir kommen ins Gespräch und als wir an riesigen Wahlplakaten vorbeifahren, erwähne ich beiläufig, ich hätte gelesen, die Wahl stünde vor der Tür. Aber ja, sagt Frederic und erklärt mir aus dem Stehgreif das politische System Kenias und die zentralen Konfliktlinien der Kandidaten.
Ich wohne in einem Hochhaus und bin nun, nach fast 20 Stunden Reise, alleine. Ich lege mich aufs Bett und lasse die ersten Eindrücke sacken. Jetzt bin ich hier in Nairobi und hoffe, dass die Recherche etwas leichter wird als von Deutschland aus. Antworten auf Interviewanfragen habe ich nämlich noch nicht bekommen. Nobody said it was easy, geht mir durch den Kopf. Und da fällt mir ein, dass ich vom Flugzeug aus die Coldplay Show in Frankfurt gesehen habe. Kein Witz: Mehrere rote Feuerwerksfontänen schossen aus dem Stadion in den Himmel. Weit unter uns wirkten sie klein und zierlich. Die grell blinkenden Bühnenlichter konnte ich trotzdem aus tausenden Meter Höhe sehen. Mir kommt diese Beobachtung kitschig, aber schön vor – und irgendwie wie ein gelungener Abschied aus Deutschland und Auftakt für die nächsten sechs Wochen on the road.
Politik in Kenia: Ein Land im Wahlkampf
In Kenia möchte ich mich mit dem Einfluss und der Rolle von Kirchen im politischen System befassen, weil ich vor ein paar Monaten gelesen habe, dass die Kandidaten durch Kirchen ziehen und Wahlkampf betreiben. Nicht ohne Grund, etwa 85% der Kenianer*innen sind christlich und besuchen regelmäßig den Gottesdienst. Dabei ist die Vielfalt an Kirchen nicht zu unterschätzen: Es gibt evangelische, katholische, anglikanische Kirchen, Methodisten, Baptisten, Adventisten und viele weitere Freikirchen. Ich möchte verstehen, welche gesellschaftliche Funktion sie einnehmen und einen Zugang in die Gemeinden finden. Doch bei meiner Internetrecherche bin ich überfordert von den vielen kleinen Kirchen im Stadtgebiet. Also besuche ich zunächst die einzige deutschsprachige Gemeinde, um eine erste Einschätzung und weitere Kontakte zu bekommen. Eine gute Entscheidung, wie sich zeigen wird.
Lunch in der Kirchgemeinde
Einmal die Woche bietet die Gemeinde einen gemeinsamen Mittagstisch an, zu dem Mitarbeitende der nahe gelegenen Botschaft und Gemeindemitglieder kommen. Ich spreche mit ein paar Frauen, die seit Jahrzehnten in Nairobi leben, und dann mit Pfarrer Hartmut Hawerkamp. Er selbst beobachte die politische Situation eher von außerhalb, aber ich hätte Glück, denn gerade sei eine Vertreterin der kenianischen Partnerkirche da. So lerne ich Margaret Obaga kennen, eine Frau mit mildem Lächeln und offenem Blick. Sie erzählt mir von ihrer Kirche, der Kenyan Evangelical Lutheran Church. In unserem Gespräch fällt irgendwann der Satz: “Tomorrow we’ll bring food to people outside of Nairobi.” Das ist meine Chance – ich frage sie, ob ich sie begleiten könne.
Wieder auf der Straße: Der erste Roadtrip
Am nächsten Morgen treffen wir uns um 7 Uhr zur Abfahrt. Ich fühle mich gerädert, weil ich vor Nervosität immer wieder aufgewacht bin. Außerdem ist es nachts ziemlich kühl. In Kenia ist gerade Winter, weshalb viele Menschen Bommelmützen und Wollschals tragen und lachen, wenn sie mich bei 21°C im ärmellosen Top sehen.
Wir fahren mit Margarets Jeep in den Süden, Richtung tansanische Grenze. Unser Ziel ist Kajiado. Dort beladen zwei Männer einen Truck mit großen Säcken voll Maismehl und Reis. In der Zwischenzeit gehe ich mit den anderen Pastoren frühstücken. Vor mir steht ein Dawa-Tee, den sie als „Medizin“ beschreiben. Der heiße Ingwer mit Honig wärmt meinen Hals und ich spüre, wie ich langsam wach werde. Dann steuern wir mit dem Jeep die erste Kirche an. Wir fahren in eine ländliche Gegend, die Erde ist staubig und am Horizont zeichnen sich sanfte Hügel ab.
Wir halten vor halbhohen Steinmauern und gehen auf ein Wellblechgebäude mit schlichtem Holzkreuz über dem Eingang zu. Das ist die Kirche, erklärt der zuständige Pfarrer Emmanuel Lempuris. Seit etwa zehn Jahren stehe sie hier und seit gut zwei Jahren bauen sie an dem neuen Gebäude, daher die Mauern. Im Inneren der kleinen Kirche ist es schummrig. Etwa 20 Personen sitzen auf blauen Plastikstühlen und warten auf die Vertreter*innen aus Nairobi. Margaret hält eine kurze Ansprache, stellt ihre Begleitung (inklusive mir) vor und spricht ein Gebet. Der pralle Maismehlsack wird mit einem großen Messer, das ich als Machete beschreiben würde, angeschnitten und dann bekommt jeder eine Ration.
Die soziale Funktion der Kirche
Kirche Nummer zwei, ein paar Kilometer weiter. Das steinerne Gebäude steht auf einem robusten Fundament und ist wesentlich größer. Etwa 120 Gemeindemitglieder passen hier rein. Heute sind viele Frauen gekommen und weil sie den Massai angehören, tragen sie große bunt karierte Tücher um die Schultern und dazu selbstgemachte Perlenketten und Ohrringe. Zur Begrüßung singen sie, klatschen im Takt und beten gemeinsam. Pastor Luke erzählt mir danach beim Tee, dass die KELC hier vor Jahren einen Wassertank mit Leitung gebaut habe sowie eine Grundschule. Darauf bezieht er sich auch in seiner Ansprache. Vorher hätten die Kinder kilometerweit zur Schule laufen müssen, jetzt haben sie eine eigene im Dorf. Ja, die Kirche übernehme hier eine soziale Funktion, sagt er.
Wir fahren weiter. Durch das offene Autofenster wirbelt der feine Staub herein und setzt sich in meinem Hals ab. Der Jeep schleppt sich über hügelige Wege, das Lenkrad vibriert. Unsere letzte Station ist Il Bissil. Die Kirche, wieder ein Wellblechbau mit vier Wänden, steht frei in der Landschaft zwischen ein paar Bäumen und Sträuchern. Nach der Verteilaktion nimmt uns Catherine, eine Frau mit grünem Satinumhang, mit in ihr Dorf und serviert Tee und Eintopf mit Fleisch und Kartoffeln. Luke zeigt mir eine traditionelle Massai-Hütte und erzählt mir, wie die Menschen hier leben und welche Sorgen sie haben.
Nach der zwölfstündigen Tour bin ich ziemlich müde, voller Eindrücke und nehme eine Menge Denkanstöße mit. Etwa, wie meine Rolle als Journalistin hier aussieht. Wie die Menschen mich wahrnehmen und wie ich sie wahrnehme. Welche Funktion die Kirche hier einnimmt und in welcher Weise sie mit Politik verknüpft ist.
Der Einstieg in meine Recherche ist geschafft. Als nächstes steht ein Gottesdienst auf dem Programm. Und eine Tour durch Nairobis Nachtleben.