„Wir sind alle Kenianer“ – Der Wunsch nach Frieden

Raus aus der Großstadt. Ich möchte mehr vom Land sehen. Auch wenn in der Stadt Kulturen und Lebensweisen kulminieren, ist es etwas ganz anderes, durch die verschieden geprägten Regionen zu reisen. Kenia ist ein Land diverser Ethnien. Die meisten Menschen gehören den Kikuyu, Luhya, Kalenjin und Luo an und leben in der Mitte und im Westen, während etwa der Norden von Turkana People bevölkert ist.

Warum ich das erwähne? Weil viele sich über ihre Ethnie identifizieren – und sogar ihre Wahlentscheidung danach treffen.

Naivasha, Stadt der Vielfalt

Eigentlich wollte ich erst an die Küste reisen und erfahren, wie Menschen unterschiedlicher Religionen zusammenleben. Doch es erscheint mir sinnvoller zunächst gen Westen aufzubrechen, um zu verstehen, wie Politik und Ethnie verknüpft sind.

Als ich in Naivasha ankomme, spüre ich den Unterschied zur Großstadt Nairobi. Hier lebt nur ein Bruchteil der Bevölkerung, das Zentrum ist überschaubar, manche Straßen sind ungeteert und staubig.

Am Abend lerne ich den Koch Chef Young kennen. Robert Mugwe Mwangi, so sein bürgerlicher Name, ist 24 Jahre alt und tritt gelegentlich im Frühstücksfernsehen auf, meistens ist er aber in Hotels zugange. Er trägt eine Kochjacke, so rot wie eine reife Chilischote, die er selten auszieht.

Er erzählt mir, wie er kochen gelernt hat, dass alle seine Geschwister ebenfalls professionell kochen und dass er bald ein kleines Event anlässlich der Wahlen ausrichten wird. Robert nennt sich „Friedensbotschafter“. Das macht mich neugierig – und schon am nächsten Tag laufen wir durch die Stadt und ich erfahre, warum ihm Frieden so wichtig ist.

Auf dem Markt über Frieden verhandeln

Robert kauft auf dem Markt ein paar Zutaten ein, während er über seine Erlebnisse spricht. Er habe den letzten Krieg miterlebt, erzählt er, da war er gerade mal zehn Jahre alt. 15 Jahre ist es her, dass es nach den Wahlen zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Ethnien kam, nachdem die Wahlergebnisse angezweifelt wurden.

Viele Menschen flohen, viele starben. Jugendliche wurden gezielt angestachelt, Geschäfte niedergebrannt. Über zwei Monate lang herrschte Chaos im Rift Valley, das sich durchs zentrale und westliche Kenia zieht. Erst ein Friedensabkommen konnte die Gewalt eindämmen.

Naivasha war stark betroffen, weil Menschen diverser Ethnien in der Stadt leben. Sie kommen aus allen Teilen des Landes zum Arbeiten her. Es ist die Stadt der Blumen, denn sie ist umrandet von riesigen Blumenfarmen, auf denen tausende Menschen beschäftigt sind.

2007 hat alle geprägt

Robert hat die Gewalt Ende 2007 miterlebt. Genau wie Selina, eine Marktverkäuferin, die dem jungen Koch einen Beutel Sardinen reicht. „Ich habe gesehen, wie Leute sich gegenseitig umbringen“, sagt sie mit Nachdruck, während sie gegen die laute Musik vom Nachbarstand anspricht.

„Amani. Peace.“ Sie zeigt das Peace-Zeichen.

Auseinandersetzungen oder gar einen Krieg könne sich das Land nicht leisten, da sind sich viele in Naivasha einig. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, die Preise für Lebensmittel und Benzin sind seit Kriegsbeginn in der Ukraine gestiegen und die Nachwirkungen der Pandemie sind noch immer spürbar.

Tomy, der von seinen Freunden auch Tomato genannt wird, weil er gekochte Eier mit Tomaten, Zwiebeln und Ketchup verkauft, stimmt dem zu. Er hofft, dass nach den Wahlen wieder bessere Zeiten kommen.

Frieden vor, während und nach den Wahlen

An einer Straßenecke trifft Robert seinen Freund Bornfas Isaya Wandeka. Isaya meint, wenn es keinen Frieden gibt, dann gibt es auch keine Arbeit, kein Geld und kein Essen. Die beiden wollen Frieden predigen, deshalb ziehen sie durch die Straßen und gehen ins Gespräch.

Mit allen, egal, welcher Ethnie sie angehören. „We are all Kenyans“, sagt Robert.

Robert und Isaya zeigen mir ihre Stadt, sie führen mich durch die belebten Straßen. Wir passieren den lokalen Matatu-Halteplatz, wo Minibusse ankommen und abfahren, laufen über den Jua Kali-Markt, wo Verkäufer*innen zusammengeschweißte Metallprodukte verkaufen.

In einer Seitenstraße treffen wir eine Gruppe junger Menschen, die über das Programm Kazi Mtaani Geld vom Staat fürs Arbeiten erhalten. Robert sagt, er war selbst eine Zeit lang davon abhängig, bis er sich als Koch selbständig gemacht habe.

Dann kommen wir an ihrer ehemaligen Schule an. Schulleiterin Esther Kiruki begrüßt die beiden und erzählt, wie Isaya noch vor kurzem hier war und den Schüler*innen erklärt hat, wie wichtig Frieden sei.

Esther erinnert sich an die Wahl 2007 und wie ihre Schule davon betroffen war. Viele Kinder mussten mit ihren Familien die Stadt verlassen und fliehen. Nein, das dürfe sich nicht wiederholen.

Im ganzen Land werden Friedenskampagnen aufgefahren. Das Engagement von Robert und Isaya bildet ein Puzzlestück, das die Arbeit anderer offizieller Stellen ergänzt.

Etwa des Friedenskomitees, von dem Katechet Paul Odhiambo der örtlichen katholischen Kirche berichtet. In diesem Komitee sei auch die Kirche vertreten. Sie habe sich neutral zu verhalten, sagt er. Anders, als in so mancher Kirche, dürften Politiker hier keinen Wahlkampf betreiben, um die Stimmung nicht weiter aufzuheizen.

Viele Menschen in Naivasha hoffen auf friedliche Wahlen und vor allem auf ruhige Zeiten danach. Robert aka Chef Young glaubt, dass er mit seinen Gesprächen etwas beitragen kann. „Wenn du einen Samen säst, wird er in den Köpfen der Menschen gedeihen“, sagt er. Und die Pflanze, die daraus erwachse, sei Frieden.