Willkommen bei den „Afrochingonas“!

Erster Stopp: Der Podcast „Afrochingonas“, Mexiko-Stadt.

Beim Stipendium für drei Monate gilt die Regel: die ersten vier Wochen müssen in einem bereits existierenden Projekt absolviert werden, das sich mit dem eigenen Recherchethema befasst.

Afrochingonas: Marbella, ich, Scarlet, Balam (der Fotograf) und Valeria (v.l.n.r.)

Da mein Thema die Sichtbarkeit Schwarzer Menschen in der mexikanischen Kulturlandschaft behandelt, war für mich die einzig richtige Andockstelle „Afrochingonas“. Drei afro-mexikanische Frauen, die mit ihrem aktivistischen Podcast sowohl über Schwarze Kultur in Mexiko aufklären, als auch aktiv gegen Rassismus und Klassismus vorgehen.

Afrochingonas ist eine Zusammensetzung aus „Afro“ und dem mexikanischen Jugendwort „chingon(a)“, was für unglaublich oder mega cool steht. Und das repräsentieren diese Frauen ideal: mexikanisch, jung, kraftvoll und Schwarz.

Jetzt mögen einige von euch denken: Schwarze Menschen in Mexiko? Klar, in Kolumbien oder Brasilien gibt es eine deutlich prominentere Schwarze Bevölkerung, aber auch in Mexiko identifizieren sich knapp 2,5 Millionen Menschen als Afromexikaner*innen. Denn die Pazifikküste Mexikos war einst der größte Anlaufpunkt während der spanischen Conquista, um Schwarze Menschen vom afrikanischen Kontinent nach Lateinamerika zu zwingen und zu versklaven. Bis heute leben an der Küste die meisten Schwarzen Mexikaner*innen. Aber durch mangelnde Arbeit und die Zerstörung der Küsten durch Großindustrien, sind viele in die Ballungszentren wie Mexiko-Stadt gezogen. Außerdem erleben wir einen Zulauf nicht mehr nur von Afromexikaner*innen, sondern Schwarzen Menschen, die eigentlich in die USA fliehen wollen, aber gewaltsam zurückgedrängt werden: Personen aus Haiti, Venezuela, El Salvador und auch Ländern des afrikanischen Kontinents.

Hinter den Kulissen

Dazu haben sich Marbella, Scarlet und Valeria vor zwei Jahren zusammengetan, um die Lage eben dieser Personen sichtbar zu machen und kulturell zu integrieren. Es gibt Podcast-Folgen zur Historie, zu aktuellen Geschehnissen im Land oder zur Repräsentation in Musik und Kunst. Dazu kommen noch viele Workshops, Panel-Diskussionen und Hilfsprojekte in Geflüchtetenunterkünften, die Afrochingonas organisieren. All das machen diese drei sehr beeindruckenden Frauen entweder ehrenamtlich oder mithilfe von internationalen Förderungen.

Und jetzt komme ich ins Spiel: Ich hätte nicht erwartet, dass mich die Afrochingonas in ihr Projekt aufnehmen, weil ich weder Schwarz, noch mexikanisch bin. Aber nach einigen Zoom-Calls konnte ich sie durch meine eigene Migrationsbiografie und vorherige Arbeit bei WDR COSMO zum Thema Rassismus und Kulturvielfalt überzeugen. Bisher bin ich die „Hilf-uns-überall-wo-es-geht-Frau“. Die Afrochingonas sind maßlos überarbeitet und ich komme genau zum richtigen Zeitpunkt. Der Podcast hat eine Förderung erhalten und es sollen fünf Episoden explizit zur Migration Schwarzer Menschen durch Mexiko produziert werden. Zeitgleich laufen aber die anderen Events und wir haben uns auch noch dazu entschieden, ab Oktober alle Podcasts zu filmen. Also bin ich Producerin, Rechercheurin, Social-Media-Managerin, Videografin, Event-Planerin etc gleichzeitig geworden. Und das ist super viel Arbeit. Im Konkreten heißt das: ich filme und zeichne die Audios der Podcasts auf, überwache die Social-Media-Kanäle mit, recherchiere Themen an und überwache täglich die Berichterstattung im Land rund um Schwarze Menschen oder Migration. Außerdem bin ich im engen Austausch mit zwei Menschenrechtsanwältinnen, die die Visa-Lage und das politische Klima besser einschätzen können und suche nebenher nach Kollaborationen mit anderen Projekten des Landes.

Empowerment-Workshop für Schwarze Frauen von der Pazifikküste, Acapulco

Denn eine Sache ist im Kontext dieser Arbeit wichtig: Afrochingonas ist von urbanen, akademischen Frauen ins Leben gerufen worden, die gendern und intellektuell sprechen und die Angela Davis oder bell hooks zitieren. Damit fühlen sich einige Menschen in Mexiko-Stadt angesprochen, aber das ist nicht die Lebensrealität vieler Schwarzer Menschen im Land. Deshalb sind Kollaborationen essentiell, um nicht an den Bedürfnissen der Communities vorbeizuarbeiten. So zum Beispiel die Arbeit mit den „Afrocaracolas“ (die Afro-Schnecken) aus Acapulco. Dieses Kollektiv fährt gezielt in abgeschottete „Comunidades“ der Pazifikküste, um herauszufinden, welche Ressourcen die Menschen dort brauchen und wie diese politisch erlangt werden können.

Auf einem der entstandenen Workshops ging es um die Frau als Autorität der Comunidad. Wie können Schwarze Frauen das Selbstbewusstsein und die Ressourcen bekommen, um zur Leitung ihres Dorfs zu werden? Dazu hat Afrocaracolas einen Empowerment-Kurs gegeben, an dem Frauen zwischen 15 und 80 Jahren teilgenommen haben. Zum Teil war das ihr erster Workshop überhaupt, einige sind 3 Stunden nach Acapulco gereist. In der Runde wurde über das Schwarzsein reflektiert, Poesie gelesen, getanzt und gesungen. Über die Bedeutung von Tanz mache ich aber wahrscheinlich bald einen gesonderten Beitrag.

Tanz beim Workshop

Als kleine Selbstreflexion möchte ich hier anmerken: ich war die einzige Nicht-Schwarze Frau und ich habe mich sehr zurückgehalten, denn das war nicht mein Raum. Aber die Afrocaracolas haben mich vorgestellt und dabei auch gesagt, dass ich in Deutschland eine rassifizierte Person bin. Hier werde ich auf den ersten Blick aber als weiße Mexikanerin wahrgenommen. Weil ich phänotypisch der mexikanischen Dominanzgesellschaft zugehöre (braune Haare und Augen, leicht gebräunte Haut), waren die Frauen total verwundert, wie ich den je Rassismus erfahren könnte. Der deutsche Standard ist für sie gar keine Referenz. Das war für mich persönlich nochmal eine sehr spannende Auseinandersetzung mit meinem eigenen Kontext und natürlich auch eine plötzliche Verschiebung von Privilegien, auf die ich in meiner aktuellen Arbeit sehr stark achte.

Die Arbeit von Afrochingonas wird belohnt: mit Zuspruch von rassifizierten Menschen, die den Podcast hören oder zu den Workshops kommen und sich repräsentiert fühlen. Ich werde mit unfassbar viel neuem Wissen und Kontakten zu Kulturschaffenden belohnt, mit Reisen und Zugängen an Küstenstädte und Communities, die ich andernfalls nicht sehen könnte… und mit der Afrochingonas-Tradition von einem gelegentlichen Rosé am Abend 😀