Mi casa es su casa

Maria José, Johanna, Rafa, Anto und Jannik (von links)

„Fühl dich wie zuhause“, hat Rafa gesagt als er zur Arbeit ging, und nun sitze ich in seinem geräumigen Wohnzimmer in Kolumbiens Hauptstadt Bogotà, die Sonne scheint durchs Fenster und im Schrank steht Rafas Plattensammlung. Jethro Tull, Beatles, Rolling Stones. Rafa mag das Gefühl der Nostalgie, das sich einstellt, sobald die Nadel übers Vinyl läuft.

Rafa arbeitet als Redakteur bei El Tiempo, Kolumbiens größter Tageszeitung. Ich habe ihn vor fünf Jahren bei einem Projekt der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bogotà kennengelernt und obwohl wir seitdem kaum Kontakt hatten, hat er mich gleich eingeladen, als ich ihm von meinen Kolumbien-Plänen erzählte. Mi casa es su casa, mein Haus ist dein Haus.

Zusammen mit seiner Frau Johanna hat Rafa zwei Töchter, Maria José und Antonia. Anto habe ich heute beim Frühstück kennengelernt, da war sie noch müde. Sonst sei sie ein Hurrikan, sagt Rafa. Maria José, die Ruhigere, war da schon auf dem Weg zu Schule. Anto ist auch eine Kämpferin. Mit drei Jahren wurde ihr eine seltene Krankheit, eine rheumatischen Athritis, diagnostiziert. Hände und Füße schwollen an, die Schmerzen waren kaum auszuhalten, manchmal konnte sie nicht mehr laufen. Rafa hat darüber eine berührende Chronik geschrieben: https://www.eltiempo.com/salud/cronica-sobre-la-enfermedad-artritis-idiopatica-juvenil-sistemica-127420 Anto wurde behandelt und vor zwei Jahren hat sich die Krankheit schlafen gelegt, wie sie sagt. Sie könnte jederzeit wieder ausbrechen, aber wenn man sieht, wie lebensfroh Anto heute ist, kann man sich das kaum vorstellen.

Als ich gestern Abend vom Flughafen kam, hat Rafa mir noch etwas erzählt: Er kann nicht Fahrradfahren. Ich habe ihm gesagt, dass wir das gemeinsam lernen werden, am besten auf dem Fahrrad, das ich in einem großen Koffer mitgebracht habe und mit dem ich auch selbst durch Kolumbien fahren möchte.

Das Fahrrad ist der Grund für meine Recherchereise. Dank der Heinz-Kühn-Stiftung darf ich sechs Wochen lang zum Thema Radsport in Kolumbien recherchieren. Das passt gut, denn Radsport ist meine Leidenschaft. Meine Fragen sind: Was macht die kolumbianischen Radprofis, insbesondere die Kletterer, so gut? Warum ist Radsport hier überhaupt so populär? Wie werden Talente gefunden? Wie funktioniert die Nachwuchsarbeit? Was ist mit Doping? Und: Wer wird der nächste kolumbianische Tour-de-France-Sieger?

Ein Grund ist natürlich die Höhe, in der die Menschen hier aufwachsen. Schon die Hauptstadt Bogotà liegt auf 2600 Metern und es gibt Hochebenen in den Anden, die bis auf 4000 Metern hinaufgehen. Ein permanentes Höhentrainingslager, seit der Kindheit. Und überhaupt die Berge, die Anstiege: Sie sind so schön und so lang, dass sie Vorfreude und Angst gleichermaßen machen. Um auf den Alto de Letras zu fahren, einen Pass mit 3677 Metern Höhe, muss man eine Straße von 80,7 km bewältigen.

Es wird noch mehr Gründe geben für die Radsportbegeisterung. Ich werde sie suchen in den kommenden Wochen, in den Bergen Kolumbiens. Ich freue mich!